Eine Ausnahmenacht


Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ich enttäuscht nach Hause fahren muss, weil irgend etwas nicht gestimmt hat. Entweder, weil seeing oder Transparenz einfach keine Freude aufkommen liessen, oder weil Müdigkeit alles im Okular nach gemütlichen Kopfkissen aussehen lies. Das geht dann mehrere Male so und leichte Zweifel kommen auf, ob...
Aber dann kommt sie wieder, die gute Nacht, die voran gegangene Mühen und Enttäuschungen vergessen lässt. Und alle Jahre wieder gibt es dann die "Nacht der Nächte" - DAS besondere Highlight, an welches man sich lange erinnern wird. Am Samstag, dem 14.4. war es endlich mal wieder so weit.

Der Tag versprach schon viel. Eine tolle Fernsicht, keine Wolke am Himmel und die Flugzeuge zogen nur lächerlich mickerige Kondensstreifen hinter sich her. Auch die seeing Vorhersage im Internet stimmte und die üble Magen-Darm Grippe der letzten Tage machte mir auch nicht mehr zu schaffen. Gegen 21:00 Uhr traf ich mit Mathias am Platz im ländlichen Kalletal ein. Dittmar Reker war schon dabei, seinen 18"er aufzubauen und Andreas Walther kam kurze Zeit später auch dazu. Die Stimmung war dem Wetter entsprechend gut und der Aufbau meines 16"ers dauerte durch diverse Plaudereien gleich drei mal so lange.



Die seeing Vorhersage hatte Unrecht - die ganze Nacht über war die Luft reichlich in Bewegung und mein Programm, kleine PN abzugrasen, konnte so getrost vergessen werden. Macht ja auch nichts, dann ist der Kopf für reichlich Spassbeobachtungen frei, ist auch immer wieder schön. Also wurde hier und da geguckt, mit allen Teleskopen am Platz.
Die erste Nachthälfte gehörte natürlich den Galaxien des Frühlingshimmels. M 51 im 8"er von Andreas war wirklich schön mit Spiralarmen zu sehen. Sein Motofokussierer lädt zum fummeln ein. Eine wirklich angenehme Sache, die er sich da gebastelt hat, das dachte ich mir schön häufiger. Mein 16er war indes immer noch nicht justiert und wir standen schon wieder zusammen. Plötzlich hektisches Geschrei - und ich stand natürlich als einziger mit dem Rücken zum Boliden, der wohl ausgesprochen beeindruckend gewesen sein muss :-(
Egal, die erhaltene Dunkeladaption wird zum ersten schätzen der Grenzgrösse genutzt. Den 6m4 Stern bei Polaris kann ich immer wieder indirekt erkennen, das passt auch gut zum restlichen ersten Eindruck des ausgesprochen transparenten Himmels.
Mein erstes Ziel mit 16" ist die Galaxie NGC 4449, die ich schon von Beobachtungen mit 10" kannte. Sehr hell und gross im Übersichtsokular, wunderbar irregulär und strukturiert dann mit 200x. Ein kastenförmiger Zentralteil mit dunklen Einbuchtungen und stellaren Knoten, umgeben von einem vor allem nach Norden ausgedehnten Halo, in dem eine auffällige Kondensation dicht südlich eines schwachen Vordergrundsternes steht - ein oft übersehenes aber absolut sehenswertes Objekt! Weiter geht’s an Dittmars 18" Dob, der uns schon häufig, standardmässig mit Bino ausgerüstet, spektakuläre Anblicke geboten hat. Heute hatte er u.a. NGC 4244 ("die Spindel"), NGC 4565 und NGC 2403 (mit Spiralarmen und Knoten) auf dem Plan. Die Augen gingen mir allerdings beim Anblick von M 101 im 18" Bino-Spassgerät über: 4 fette Spiralarme, durchzogen mit Dutzenden Lichtknoten! Der absolute Wahnsinn!! Die Spiralarme waren plastisch und kontrastreich, wirklich mühelos zu erkennen. Es war für mich das Highlight der ersten Nachthälfte. Selbst NGC 4565, M 108 oder auch M 51 mit 16" Mono konnten diesem Anblick lange nicht das Wasser reichen. Wer behauptet Deep Sky mit Bino funktioniert nicht, der irrt gewaltig und verpasst das Beste.  Das Bild wirkt grösser, der Kontraste werden durch die beidäugige Beobachtung (Gehirn kann Nervenrauschen heraus rechnen) deutlich gesteigert - der leichte Lichtverlust wird durch die Vorteile zumindest bei grösseren Optiken mehr als wett gemacht.
Nicht ganz unbeteiligt an den neuen Ansichten alter Bekannter war allerdings auch diese unglaubliche Ausnahmenacht. Meine erste Schätzung nach Dämmerungsende belief sich zu 6m4, denn einen 6m4 Stern kenne ich und nutze ihn, um die normalen von den sehr guten Nächten unterscheiden zu können. Normalerweise fast das Optimum an unserem Standort. Irgendwann merkte ich, dass Dittmar eine Grenzgrössenkarte in der Hand hielt. Wir staunten nicht schlecht, als wir im kleinen Wagen ganz eindeutig einen 6m6 Stern sehen konnten, war sogar gar nicht so schwierig zu erkennen!? Mehr aus Spass suchte ich auf der Karte nach schwächeren Himmelsprüfern und Dittmar machte schon wieder seine typischen Scherze, wenn er mich durch den Kakao ziehen will. Er staunte nicht schlecht (und ich konnte es nicht glauben) als wir beide einen 6m8 Stern sehen konnten! Mein persönlicher Rekord lag für das Kalletal bei 6m5 und jetzt sahen wir 0m3 mehr. Eine sehr merkwürdige Stimmung machte sich kurze Zeit breit, wir zweifelten ernsthaft an der Richtigkeit der Grenzgrössenkarte, denn der 6m8 Stern war tatsächlich zu erkennen...

...eine der Nächte, an die man sich noch lange erinnern wird.
Nach diesem Schock hiess es die Nacht bis zur Dämmerung auszukosten, denn so einen Himmel, dazu noch quasi direkt vor der Haustüre, muss man bis zum Ende feiern!

Die zweite Nachthälfte begann. Von den Galaxien nun also zu den Milchstrassenobjekten des späten Frühlings und beginnenden Sommers. Als letzer Abschied vom Galaxienzoo wird M 104 mit 300x angepeilt. Die Kante des Staubbandes bildet für mich seit dieser Nacht einen der härtesten Kontraste in allen mir bekannten Deepsky-Objekten. Dahinter wieder das zarte Lichtglimmen des Bulges dieser Sterneninsel. Mathias stellt an seinem 10"er den Exoten Shane 1, einen "Einser PN" also, ein. Er war problemlos als recht heller "Stern" zu erkennen. Das seeing vereitelte jedoch die Auflösung des kleinen Nebels in eine Scheibe. Trotzdem, DEN haben bestimmt nur wenige Menschen vor uns visuell gesehen. Währenddessen hatte ich mit 16" den PN Abell 36 in der Virgo im Okular - eindeitig um den ZS als grosse Fläche zu erkennen, leichte Helligkeitsveriantionen inklusive. Der Herkules stand nun schon verführerisch hoch, wir mussten dem Horizont mit seinem sehr bescheidenen seeing entkommen. Ich hatte den PN Dddm 1 im Okular. Neben der exklusiven Stellung der Nummer 1 in diesem Katalog ist besonders interessant, dass sich dieser PN nicht in der Milchstrassenscheibe befindet, sondern im galaktischen Halo, also schon seeehr weit draussen, steht. Diese Kenntnis tröstet auch darüber hinweg, dass ausser einem Stern, der gut auf [OIII] Filterblink reagiert nicht viel zu sehen ist. So müssen sich also Quasarbeobachter fühlen ;-)
Noch nördlicher liegt der PN NGC 6058. Die Stelle ist recht abgelegen und so nimmt das Starhopping ein wenig Zeit in Anspruch. Der Anblick entschädigt aber dann doch: um den sehr auffälligen ZS ist mit 600x Vergrösserung ein dezenter Ring zu erkennen, der nach zwei Seiten aufgebrochen scheint. Eines der beiden Ringfragmente ist leicht heller. Mathias macht mich darauf aufmerksam, dass zwischen ZS und schwächerem Ringfragment eine sehr kontraststarke Dunkelzone zu sehen ist und meine erste und einzige Zeichnung in dieser Nacht findet den Weg auf’s Papier.
NGC 6210 besticht durch seine bei grosser AP intensiv türkis-grüne Farbe und enorme Helligkeit - ein leuchtender Smaragd zwischen weissen Feldsternen! Höhere Vergrösserung bringt hier leider nicht viel aber in einer Nacht mit bestem seeing wird diesem "Kandidaten" ganz sicher noch mal näher auf die Pelle gerückt.
In der Zwischenzeit musste erst Andreas den Rückweg antreten und auch Dittmar war nach 3:00 Uhr mit dem Abbauen beschäftigt. Vorher sollte diese Nachte aber verewigt werden.



Genug PN, denn die Nacht bietet sich geradezu für ausgedehnte Objekte an, die nach Transparenz verlangen! Obwohl die Sommermilchstrasse von Schwan bis Schütze noch lange nicht optimal steht, ermöglicht der kristallklare Himmel unbeschreibliche Anblicke selbst in geringer Horizontdistanz und macht die letzte Stunde dieser Ausnahmenacht zum Fest fürs ausgehungerte Auge. Erst der Cirrus, vielleicht 30° über dem Horizont mit 100x (4mm AP) und Thousand Oaks [OIII] Filter (Lumicon vergleichbar). Und wieder muss ich mir verkneifen, dieses für mich spektakulärste Objekt des Himmels zu beschreiben. Ein Versuch, diesen Anblick in Worte zu fassen kann nicht funktionieren. Auch die Beste Zeichnung wird nicht genügen - der Anblick im Okular des 16"ers kommt den besten CCD-Amateuraufnahmen nahe und ist wegen dem unmittelbaren Naturerlebnis für mich noch viel bedeutender als es je eine Aufnahme sein kann! Der Baader [OIII] (engere Halbwertsbreite) bringt nochmals einen spürbaren Schub in Sachen Kontrast. Mit dieser Kombination geht’s weiter zum Crescent Nebel NGC 6888. Auch hier kann nur ein Vergleich mit guten Aufnahmen den Anblick angemessen beschreiben.
M 8 ist schon sehr einfach mit blossem Auge zu erkennen, im Teleskop stolpern wir aber erst über den Trifid Nebel, dessen Dreiteilung unerwartet hart in den Nebel gestanzt scheint. M 8 ist natürlich ein grelles Objekt unter diesem Ausnahmehimmel, viel imposanter finden wir allerdings M 17, den Schwanennebel. Extrem hell und voller Struktur - wieder kann die ausführlichste Beschreibung hier nur versagen...
Das letzte Objekt (wir wollen eigentlich nicht aufhören, die Nacht ist mit etwa 7 Stunden viel zu kurz gewesen) soll der Hantelnebel sein, immer noch mit 100x und [OIII] Filter. Die schiere Helligkeit lässt die vielen Details fast in den Hintergrund treten. Selbst die "Ohren" sind direkt unglaublich einfach, wie auf einem krass überbelichteten Foto! Dieses grelle Bild wirkt geradezu unnatürlich, das penetrante Leuchten des Zentralteils passt einfach nicht zu dem Bild, welches man von normalen Nächten kennt. Gerade dieses komische Gefühl, welches mich beim Anblick von M 27 beschleicht, lässt sich schwer in Worte fassen. Das passt einfach alles nicht zur Definition vom "schwachen Deepsky Objekt"...

Zuhause (ein Berg weiter) schaue ich mir noch die Morgendämmerung an. Diese klaren Farben, vor allem das schöne türkis zwischen tiefblau und orange fasziniert mich. Was für eine Nacht - mit einer tollen Truppe unter einem Himmel, wie ich ihn bislang in unserer Gegend noch nicht kannte. Wirklich eine Ausnahmenacht, in der praktisch alles gepasst hat...

Die sehr lesenswerten Beobachtungen dieser Nacht von Andreas Walther und Mathias können hier in den Antworten auf meinen Forenbeitrag nachgelesen werden!